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Ein Impfstoff gegen Fehlinformationen


Aktualisiert am 28. Februar 2021 von Ralf Hoesen

Parallel zur Umsetzung des Impfprogramms gegen das SARS-CoV-2-Virus haben Forscher der Psychologischen Wissenschaften die Möglichkeit erforscht, der Bevölkerung eine Immunität gegen Fehlinformationen und Fake News zu verleihen. Holen Sie sich Ihren „Desinformations-Impfstoff“ in diesem Artikel.

Trotz gegenteiliger Bemühungen, die auf verschiedenen Ebenen in der Bevölkerung umgesetzt werden, breitet sie sich weiter aus und wir sehen täglich neue Ausbrüche. Es könnte sich um das SARS-CoV-2-Virus handeln, dessen plötzliches Auftreten vor weniger als einem Jahr zur aktuellen Pandemie führte.

Der einleitende Satz dieses Textes gilt jedoch gleichermaßen für Fehlinformationen und Fake News, die in der Dynamik moderner sozialer Netzwerke eine geeignete „Ökologie“ für ihre Entstehung, Verbreitung und negativen Auswirkungen gefunden haben.

Überraschenderweise geht die Analogie zwischen SARS-CoV-2 und Desinformation in sozialen Netzwerken möglicherweise über die in diesen Zeilen geprobte oberflächliche Parallelität hinaus: Zu einer Zeit, in der vor kurzem Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus entwickelt und Impfprogramme durchgeführt wurden, haben Forscher in den psychologischen Wissenschaften Möglichkeiten untersucht, ähnliche Strategien zur Bekämpfung von Desinformation zu implementieren.

Die Idee, psychologischen Widerstand auf individueller Ebene gegen falsche Informationen zu fördern, ist nicht neu und reicht bis in die 1960er Jahre zurück.

Zu dieser Zeit führten Sozialpsychologen, die am Attitude and Persuasion Program der Yale University beteiligt waren, einige Studien durch, um den Befürchtungen einer Gehirnwäsche und Überredung von amerikanischen Soldaten, die im Fernen Osten gefangen genommen wurden, zu begegnen.

In diesem Zusammenhang entwickelte William McGuire die so genannte Impftheorie (1970), die in mehreren neueren Studien als mögliche Strategie zur Bekämpfung moderner Versionen von Desinformation wieder aufgetaucht ist.

Ein „Impfstoff gegen Desinformation“ ist besonders vielversprechend, da alternative Lösungen sich als unwirksam erwiesen haben (wie z. B. Initiativen zur Korrektur von Falschnachrichten, die, da sie sich notwendigerweise auf bestimmte Informationen konzentrieren, zeitaufwändiger sind und eine geringere Reichweite haben als die Desinformation selbst) oder sogar negative Auswirkungen haben (wie z. B. die Implementierung von Computeralgorithmen, die Falschnachrichten filtern, oder Gesetzes- und Regulierungsinitiativen).

Der Begriff der psychologischen Impfung lehnt sich eng an die Grundidee des biomedizinischen Analogons an: Wenn eine Person kleinen, relativ „abgeschwächten“ Proben falscher Informationen ausgesetzt ist, löst dies Denkprozesse aus, die wie „mentale Antikörper“ bei zukünftiger Exposition gegenüber Fehlinformationen reaktiviert werden können, was zu einer „psychologischen Immunisierung“ führt.

In ihrer klassischen Version beinhaltet eine „psychologische Immunisierung“ im Allgemeinen zwei grundlegende Komponenten, eine affektive und eine kognitive: (i) die Person wird gewarnt, dass sie einer voreingenommenen und falschen Information ausgesetzt sein wird, ähnlich denen, denen sie in ihrem täglichen Leben begegnen kann – der Zweck ist hier, eine emotionale Reaktion auf eine mögliche „Bedrohung“ und eine konsequente Aktivierung von Argumentationsprozessen des Widerstands auszulösen (affektive Komponente); (ii) die Information wird präsentiert, die von Gegenargumenten und möglichen Antworten begleitet sein kann (kognitive Komponente).

Eine Meta-Analyse von 54 klassischen Studien zur „psychologischen Impfung“ ergab, dass diese effektiver gegen Fehlinformationen wirkt als die bloße Bereitstellung von verlässlichen Informationen und dass der „Immunisierungs“-Effekt mindestens zwei Wochen anhält.

Offensichtlich hängt der Erfolg der psychologischen Impfung, wie bei ihrem immunologischen Analogon, entscheidend von einem klaren Verständnis nicht nur der Mechanismen und Prozesse ab, die den wichtigsten Formen von Fehlinformationen zugrunde liegen, gegen die eine Immunisierung angestrebt wird, sondern auch von den psychologischen Phänomenen, die mit der jeweiligen Anfälligkeit verbunden sind.

Interessanterweise haben einige neuere Studien (z. B. Pennycook et al., 2020) gezeigt, dass im Allgemeinen und trotz individueller Unterschiede die Fähigkeit, Fake News und Informationen zu erkennen, nicht mit der Absicht, sie in sozialen Netzwerken zu teilen, vergleichbar ist.

Tatsächlich unterschieden sich die Antworten der Studienteilnehmer, als sie gebeten wurden, anzugeben, inwieweit sie fehlinformative Inhalte in sozialen Medien glauben oder teilen würden.

Mit anderen Worten, was eine Person dazu motiviert, Fehlinformationen zu teilen, ist nicht unbedingt der Grad, in dem sie diese für wahr hält, sondern eher der Grad, in dem sie mit einem Teil des Inhalts übereinstimmt oder der Grad, in dem er mit der soziokulturellen Zugehörigkeit übereinstimmt, was leicht zu verstehen ist, wenn wir beachten, dass wir dazu neigen, positiv verstärkt zu werden (und uns selbst zu verstärken, mit Likes und sozialen Interaktionen in Form von Kommentaren), indem wir Inhalte teilen, die mit der sozialen Gruppe, mit der wir uns identifizieren, übereinstimmen, und nicht unbedingt durch deren Wahrheitsgehalt und Genauigkeit.

Gleichzeitig geben die meisten Menschen auf Nachfrage an, dass es für sie relevant ist, nur glaubwürdige und korrekte Informationen in sozialen Netzwerken zu teilen.

Darüber hinaus zeigte sich in derselben Studie, dass, wenn Personen gebeten wurden, den Grad anzugeben, in dem ihnen eine einzelne Nachricht glaubwürdig oder glaubwürdig erschien, nachfolgende Berichte über die Absicht, Fehlinformationen in sozialen Netzwerken zu teilen, auch bei unterschiedlichem Inhalt, tendenziell mit den Beurteilungen der Glaubwürdigkeit korrelierten.

Offenbar reichte die bloße Tatsache, dass sie zuvor gebeten wurden, anzugeben, „inwieweit sie einer bestimmten Nachricht glauben“, aus, um diese Dimension hervorzuheben und folglich die gleichen kognitiven Prozesse auszulösen, die mit der Unterscheidung von Fake News verbunden sind.

Dieses Ergebnis umfasst die Mindestbedingungen für eine „psychologische Impfung“ – die Präsentation einer Probe von Fehlinformationen, begleitet von einer Warnung, dass sie möglicherweise nicht zuverlässig sind, die implizit in der dem Teilnehmer gestellten Frage enthalten ist.

Nach demselben Muster haben andere Autoren versucht, die Logik der Impftheorie in kleinen interaktiven Spielen umzusetzen, die als „Breitspektrum-Impfstoffe“ gegen Desinformation in sozialen Netzwerken präsentiert werden: Bad News (mit Fokus auf Fake News im Allgemeinen), Harmony Square (mit einem erklärtermaßen politischen Kontext) und Go Viral (mit Fokus auf die aktuelle Pandemie und ihre Desinformation).

Alle haben die gleiche Spielmechanik: Der Spieler wird aufgefordert, sich als Desinformationsagent auszugeben, mit dem Ziel, Zwietracht, Verwirrung und Spaltungen in der „Bevölkerung“ zu säen und dabei Strategien anzuwenden, die denen ähneln, die für die Verbreitung von Fake News und Informationen in sozialen Netzwerken verwendet werden. Die Leistung des Spielers wird in virtuelle Likes (ähnlich einer Punktzahl) und das Erreichen von Insignien (Abzeichen) umgesetzt, wenn eine von mehreren gängigen Strategien gemeistert wird.

Die erste davon, Bad News, entwickelt in Zusammenarbeit mit Sander van der Linden und Jon Roozenbeek, Forscher an der Universität Cambridge, UK, und führend in der zeitgenössischen Forschung zur Impftheorie, hat sich in einer groß angelegten Studie mit 15.000 Teilnehmern als wirksam erwiesen, um die Fähigkeit zu verbessern, Fehlinformationen zu erkennen und ihnen zu widerstehen.

Während die aktive Komponente, wie sie im Spiel implementiert ist, ein relevanter Aspekt der „psychologischen Impfung“ ist, ist es der informationelle Aspekt, der im Spiel in Form von Badges instanziiert wird, der Immunität gegen Fake News und verzerrte Inhalte bietet.

Der Leser wird also sofort von seiner „Desinformations-Impfung“ profitieren, wenn auch ohne die Verspieltheit, indem er die folgenden Strategien kennenlernt, die häufig bei Fake News verwendet werden. Beachten Sie, dass, obwohl jedes für sich genommen harmlos erscheinen mag, eine erfolgreiche Desinformationskampagne dazu neigt, sie zusammen zu verwenden. Können Sie eine oder mehrere dieser Desinformationsstrategien in Ihrem Social Media News Feed erkennen?

Quellen-Imitation: Im Internet und in den sozialen Medien ist es heute besonders einfach und billig, ein Profil zu übernehmen oder eine „Nachrichten“-Seite zu erstellen, die oberflächlich einen professionellen und legitimen Experten oder eine Institution simuliert, indem sie deren Aussehen nachahmt, Logos und/oder ähnlich aussehende Namen übernimmt.

Wenn Menschen Informationen online weitergeben, achten sie nur selten auf die Quelle, und es genügt, wenn jemand nur oberflächlich eine seriöse oder vertrauenswürdige Person nachahmt, um Fehlinformationen zu verbreiten und weiterzugeben.

Emotionen: Emotionen wie Angst, Wut und Empathie sind intrinsisch motivierend und zwingen Menschen zum Handeln – entweder durch das Teilen von Material, das diese emotionalen Zustände aktiviert, oder durch die Reaktion (in Form von Kommentaren) auf dieses Material.

Offensichtlich sind nicht alle emotionalen Inhalte in sozialen Medien zwangsläufig falsch. Da wir jedoch wissen, dass Menschen dazu neigen, analytische Überlegungen zu unterdrücken, wenn sie emotional aktiviert sind, ist es relativ einfach, Fehlinformationen mit Angst, Wut oder Empathie zu versehen – folglich werden die Menschen weniger über den Wahrheitsgehalt der Informationen nachdenken und danach handeln, wie sie sich dabei fühlen, insbesondere wenn die Emotionen eine gewisse Dringlichkeit implizieren.

Polarisierung und falsche Verstärkung: Agenten von Fehlinformationen, ob von einer bestimmten Agenda getrieben oder einfach nur um der Verbreitung von Falschinformationen willen, müssen nicht immer originäre Inhalte erstellen.

Die heutige Gesellschaft und die sozialen Medien sind reich an Spaltungen zwischen sozialen Gruppen und Perspektiven zu zahlreichen Themen. Oft sind diese Trennungen und Gegensätze im Alltag relativ subtil und überschaubar.

Es ist aber auch relativ einfach, diese auszunutzen, um Meinungen extrem zu polarisieren und Konflikte zu produzieren. Eine gute Metapher ist der Fall eines Holzbretts, das bei Druckeinwirkung an seiner schwächsten Stelle bricht. Es ist üblich, dass Desinformationsinhalte diese Bruchlinien ausnutzen, indem sie sie verstärken und oft Meinungen und Nachrichten fabrizieren, die beide Seiten unterstützen.

Eine typische Strategie ist der Einsatz von Bots – autonome Computerprogramme, die Informationen auf sozialen Medien „teilen“, indem sie legitime Benutzer simulieren. Eine kleine Armee von Bots kann ausreichen, damit ein Thema in den sozialen Medien an Zugkraft gewinnt und viel relevanter und verbreiteter erscheint, als es tatsächlich ist.

Verschwörung: Verschwörungstheorien sind verführerisch – sie bieten eine Perspektive auf die Welt, die ihren Anhängern das Gefühl gibt, sie zu verstehen und sie zu beherrschen.

Die Vorstellung, etwas zu wissen oder zu realisieren, was den meisten Menschen nicht bewusst ist, kann berauschend sein und dazu führen, dass man sich überlegen und/oder fähiger fühlt. Das Internet und die sozialen Medien bieten eine Basis für Interaktionen und Informationsaustausch, die Verschwörungstheorien leicht anheizen. Wenn sie so inszeniert sind, dass sie einem „offiziellen Narrativ“ widersprechen oder es in Frage stellen, können sie gezielt als Vehikel für Desinformation eingesetzt werden.

Diskreditierung: Unvermeidlich wird jedes Stück Desinformation, das in der Gesellschaft und in den sozialen Medien an Bedeutung und Prominenz gewinnt, unter Beschuss geraten, entweder durch kollektive Fact-Checking-Bemühungen oder durch einzelne Bürger.

Wenn dies geschieht, ist die typische Strategie der Versuch, ihre Legitimität zu diskreditieren oder in Frage zu stellen. Beachten Sie, dass es für die Aufrechterhaltung und Verstärkung der Desinformation nicht notwendig (und sogar kontraproduktiv) ist, auf kritische Stimmen oder deren Argumente einzugehen – es reicht aus, die Aufmerksamkeit auf deren Glaubwürdigkeit zu lenken und so den Fokus zu verändern und die Desinformation zu erhalten, die man zu verbreiten beabsichtigt.

Die Diskreditierung muss nicht einmal vertrauenswürdig sein – die Logik ist eher, eine „wo Rauch ist, ist auch Feuer“-Idee zu fördern.

Trolling: Dieser englische Begriff beschreibt eine Technik namens „pesca corrico“, bei der ein Köder von einem langsam fahrenden Boot gezogen wird, um Fische anzulocken.

Der Begriff wurde angepasst und wird im Internet und in den sozialen Medien häufig verwendet, um sich auf Kommentare zu beziehen, die absichtlich provokativ oder kontrovers sind, um emotionale Reaktionen auszulösen und Menschen in eine Diskussion zu locken.

Trolling ist in praktisch allen sozialen Netzwerken üblich und kann leicht von Desinformationskampagnen ausgenutzt werden, um die Glaubwürdigkeit gegnerischer Stimmen zu untergraben, den Fokus der Diskussion zur Ablenkung zu verändern oder um Anhänger und Kommentare für ein bestimmtes Thema zu gewinnen, das sie verstärken möchten.

Autor des aus dem portugiesisch übersetzten Artikel:

Nuno Alexandre de Sá Teixeira schloss sein Psychologiestudium an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Coimbra ab und promovierte an der gleichen Institution in experimenteller Psychologie.
Er arbeitete als Doktorand am Lehrstuhl für Allgemeine Experimentelle Psychologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland, am Institut für Kognitionspsychologie an der Universität Coimbra und am Zentrum für räumliche Biomedizin an der Universität Rom ‚Tor Vergata‘, Italien.
Derzeit ist er Gast-Assistenzprofessor an der Abteilung für Pädagogik und Psychologie der Universität Aveiro.
Seine wissenschaftliche Arbeit konzentriert sich auf die Untersuchung, wie physikalische Variablen (insbesondere die Schwerkraft) vom Gehirn als „interne Modelle“ instanziiert werden, um perzeptive und motorische Funktionen bei der Interaktion mit der Welt zu unterstützen. Seine Interessen gehen also vom Scharnier zwischen Themenbereichen wie der Wahrnehmungspsychologie, der Psychophysik und den Neurowissenschaften aus.


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